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Von Diktatoren, Wohnungsfluren und einsamen Männern – Einblicke in die finnische Verlagswelt

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Touko SiltalaEin geschiedener Mann sitzt alleine zu Hause, trinkt Wodka, stundenlang schaut er aus dem Fenster – und es regnet. So fängt der typisch finnische Roman an, erzählte mir mal eine Schriftstellerin scherzhaft am Rande des Lahti International Writers’ Reunion. Alle zwei Jahre trifft sich in der finnischen Stadt Lahti die Literaturwelt, neben rund 50 internationalen und finnischen Autoren sind dann auch stets einige Verleger eingeladen. Die Tage im vergangenen Sommer waren, wie bereits hier berichtet, mein Einstieg in die Welt des Ehrengastes der Frankfurter Buchmesse 2014.

Man saß in der Sauna, tanzte Tango und spielte Fußball – für ein Eishockey-Match wäre es kurz vor Mittsommer einfach zu warm gewesen. Selbst wenn Finnland bei der aktuellen WM nicht dabei ist, gibt es echte Talente unter den Literaten: Autor Aki Ollikainen etwa schoss beim Fußballspiel „Finnland gegen den Rest der Welt“ gleich vier von sechs Toren.

Sein Verleger Touko Siltala zog es damals vor, ihm vom Spielfeldrand aus zuzujubeln. Ein Jahr später treffen wir uns in seinem Verlag Siltala Publishing wieder. Das unscheinbare Gebäude in Sörnäinen, einem Industrieviertel in Helsinki, beherbergt sein berufliches Zuhause. Früher arbeitete Touko Siltala bei WSOY, dem damals größten Verlag Finnlands, der inzwischen von der Bonnier Gruppe gekauft wurde. Vor sechs Jahren jedoch machten sich Touko und sein Bruder selbständig. Einige Autoren folgten ihnen, so zum Beispiel Tuomas Kyrö. Die Brüder konnten ebenso einige neue Talente, wie zum Beispiel Aki Ollikainen, für sich gewinnen.

Früher war es in Finnland üblich, dass man ein Leben lang bei einem Publisher blieb. „Die Beziehung zwischen Verleger und Autor war eine Art Ehe, was vor allem Betreuung und ausreichende Vorschüsse bedeutete“, erzählt Touko Siltala. Doch das ändert sich inzwischen – Autoren wechseln, manchmal fühlen sie sich nur einigen Personen im Hause verbunden. So folgten die Schriftstellerinnen Rosa Liksom und die Besteller-Autorin Sofi Oksanen einst ihrem Lektor. Die Unabhängigkeit ist für Künstler ein Vorteil.

Touko Siltala freut es, wenn sich gute Autoren für seinen kleinen Verlag entscheiden. Rund 30 Bücher veröffentlichen sie pro Jahr. „Es war natürlich ein Risiko, in diesen Zeiten ein neues Unternehmen zu gründen“, sagt er. Die Finanzkrise machte eben auch vor Finnland nicht halt. Touko führt jetzt durch die Verlagsräume. Sie sind hell und offen, fünf Arbeitsplätze stehen in dem großen Raum. Dazu gibt es eine kleine Küche sowie einen Besprechungsraum, der nur durch eine Glaswand getrennt ist. Jeden Tag gehe er mit Freude in seinen eigenen Verlag, erzählt er und strahlt.

50 Autoren hat FILI offiziell zur Frankfurter Buchmesse eingeladen, von Siltala Publishing sind fünf mit dabei. Die beiden Brüder haben ein gutes Gespür. Auch was die Lage ihres Büros angeht. Vor sechs Jahren war die Gegend noch eher unbeliebt und rau, heute ist das angrenzende Viertel Kallio der Szenebezirk von Helsinki, mit vielen Cafés und Bars.

cover - das hungerjahrSo wie sich die Nachbarschaft verändert, ist es auch in der Verlagsszene. 5836 gibt es derzeit in ganz Finnland. Das Angebot ist vielseitig und selbstverständlich beginnen die meisten Romane nicht mit einsamen, betrunkenen und am Fenster hockenden Männern. Aki Ollikainen zieht seine Leser so in sein Erstlingswerk „Das Hungerjahr“:

„Die Ruderollen schreien wie ein Vogel. 

Im Boot liegen drei magere Hechte. Sie sehen mehr nach Schlangen als nach Fischen aus. Sie zucken nicht mehr, sie sind in der Kälte erstarrt. Ihre Mäuler stehen offen, noch immer entrinnt ihnen Blut, das sich in dünnen Schnörkeln mit dem Wasser zu Mataleenas Füßen mischt.

Der Roman ist in diesem Frühjahr auf Deutsch beim Transit Verlag erschienen, 2012 wurde er mit dem Helsingin Sanomat Literaturpreis als bestes Debüt ausgezeichnet. Wer die eingeladenen Autoren des Ehrengastes kennenlernt, trifft ständig auf Preisträger einheimischer Institutionen. Es scheint, als hätten sie alle schon Preise gewonnen. Das beste Debüt oder eben den begehrten Finlandia-Preis, der jedes Jahr von der Finnischen Buchstiftung für Belletristik vergeben wird. Mikko Rimminen und Rosa Liksom, die wir hier bereits porträtierten, bekamen ihn – ebenso wie Kjell Westö, Sofi Oksanen und Ulla-Lena Lundberg. Sie alle werden bei der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt sein.

Unbestechliche Diktatoren  - Nächte im Wohnungsflur

„Die Jury des Finlandia-Preises ist wirklich unbestechlich und wird jedes Mal neu besetzt“, erzählt Touko Siltala beim Kaffee. Er hofft, dass seine Autorin Leena Lander dieses Jahr nominiert wird. Eine dreiköpfige Jury, die sich anfangs untereinander nicht kennt, liest rund 100 Bücher – am Ende erstellt sie eine Shortlist mit drei bis sechs Titeln zusammen. Ein Jurypräsident trifft dann alleine die Entscheidung über den Gewinner. Diese Jury-Chefs sind nicht nur klassische Literaturexperten, sondern manchmal ebenfalls Theaterdirektoren, Filmemacher wie Aki Kaurismäki oder literaturaffine Politiker – zum Beispiel die ehemalige Präsidentin Tarja Halonen. Sie kürte vor zwei Jahren Ulla-Lena Lundbergs Roman „Eis“, der im August auf Deutsch beim mare Verlag erscheint. 130.000 Exemplare verkaufte Lundberg bisher in ihrer Heimat davon, bei 5,4 Millionen Einwohnern ein echter Erfolg. Wer den Finlandia-Preis erhält, wird automatisch zum Beststeller. Eben weil der Jurypräsident so mächtig ist, wird er in der Branche manchmal scherzhaft „der Diktator“ genannt.

Ulla-Lena Lundberg

Schriftstellerin Ulla-Lena Lundberg auf ihre Heimatinsel Kökar

Eine wichtige Rolle in der finnischen Literaturszene haben auch die Kritiker von Helsingin Sanomat, der größte Tageszeitung Finnlands. Eigentlich ist es die einzige überregionale Tageszeitung von Bedeutung. Es soll finnische Schriftsteller geben, die, wenn sie wissen, dass am nächsten Tag eine Kritik über sie in der Zeitung steht, nachts im Flur ihrer Wohnung schlafen, um gegen zwei Uhr morgens auch ja nicht den Einwurf der aktuellen Ausgabe zu verpassen. (Etliche Mieter in Mehrfamilienhäusern haben ihren Briefschlitz direkt an der Wohnungstür.)

Lesungen – echtes Neuland für finnische Autoren  

Viele Finnen sagen, Helsingin Sanomat besitze eine Monopolstellung. Was hier rezensiert wird, bekomme große Aufmerksamkeit. Suvi Ahola ist seit über 30 Jahren Literaturkritikerin bei der Tageszeitung. Sie ist sich schon bewusst, dass ihre Rezensionen und Beiträge Gewicht haben, dennoch findet sie das mit der Monopolstellung übertrieben. „Schließlich gibt es auch wichtige Radioformate bei YLE“, sagt Ahola. Wie Touko Siltala kritisiert auch sie den schwindenden Platz für klassische Rezension. „Stattdessen steht immer mehr der Autor selbst im Vordergrund.“ Autorenporträts und Interviews dominieren auf den Kulturseiten, zunehmend entdecken auch die Frauenzeitschriften die Literaten. Man geht mit dem Autor im Wald Pilze sammeln, besucht die Schriftsteller zu Hause oder bewertet deren Outfits in Klatschzeitungen.

Dennoch sind die Verlage natürlich über die Aufmerksamkeit froh. Ihre Autoren genießen in Finnland einen hohen Stellenwert, sie sind echte Stars und erscheinen immer wieder auf Titelseiten von Magazinen. Eines allerdings sind die Literaten nicht gewöhnt: sich auf Lesungen zu präsentieren. „Wir haben nicht so eine starke Tradition wie ihr in Deutschland“, sagt Touko Siltala. Er merkt immer wieder, dass einige finnische Autoren auf internationalen Festivals damit zu kämpfen haben. Sie bereiten Reden vor, anstatt aus ihren Büchern vorzulesen oder locker darüber zu sprechen. Doch so schüchtern manche jetzt noch sein mögen, Autoren wie Tuomas Kyrö wissen schon genau, wie sie das Publikum begeistern: mit Humor. Der trockene Humor ist in Finnland ebenso präsent wie Saunen, Wälder oder Seen – und er wird sicherlich auch viele Lesungen in Deutschland bereichern.


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